Organspende
ist auch eine Frage der Religion
Artikel
von Margit Schramm, Stuttgarter
Nachrichten vom 31. Mai 2000
Rund 20000 Fragen zur Organspende beantwortet der Arbeitskreis
Organspende (AKO) jährlich. Eine Frage, die immer wieder gestellt
wird, betrifft die Einstellung der Kirche zur Organspende
- eine Frage, die nicht für alle Glaubensgemeinschaften einheitlich
beantwortet werden kann. In Deutschland gibt es 27,7 Millionen
evangelische, 27,5 Millionen katholische und rund 1,2 Millionen
orthodoxe Christen. Außerdem leben hier mehr als drei Millionen
Muslime, 80000 Menschen jüdischen Glaubens und rund 200000
Buddhisten.
Wie stehen diese Religionen dem Thema Organspende gegenüber?
"Die Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod ist ein Zeichen
der Nächstenliebe und Solidarisierung mit Kranken und Behinderten",
so die Haltung der evangelischen und katholischen Kirche in
ihrer "Gemeinsamen Erklärung" von 1990. Organtransplantationen
sind ethisch gerechtfertigt, weil sie das Leben eines anderen
Menschen retten, Leid lindern und Lebensqualität verbessern.
Angehörige, die die Einwilligung zu einer Organspende geben,
handeln "ethisch verantwortlich".
Beide großen Kirchen erkennen den Hirntod als Todeszeitpunkt
des Menschen an, der Voraussetzung für eine Organentnahme
ist. Die Feststellung des Todes und die Verfahrensregeln zur
Feststellung sind durch die Bundesärztekammer in Richtlinien
festgelegt. Funktionsfähige Organe können nach dieser "unaufhebbaren
Trennung vom irdischen Leben" dem Leib entnommen und anderen
schwerkranken Menschen eingepflanzt werden. Der Glaube an
die Auferstehung der Toten steht einer Organspende nicht im
Wege, denn die Auferweckung ist "Tat und Wunder Gottes" und
setzt nicht das Vorhandensein eines unversehrten Leichnams
voraus. Grundsätzlich stimmt dieser Haltung auch die Kommission
der Orthodoxen Kirche in Deutschland (KOKID) zu. Allerdings,
so der KOKID-Vorsitzende Prof. Dr. Dr. Anastasios Kallis,
setze dies die Achtung vor der Würde des Menschen voraus:
"Der Leichnam darf nicht zu einem Ersatzteillager in der Art
eines ausgemusterten Fahrzeugs degradiert werden, das kommerziellen
Zwecken dient."
Auch wenn nach buddhistischem Glauben der Sterbeprozess eines
Menschen sehr viel länger dauert, als von außen zu sehen ist,
erkennen die meisten Buddhisten als Voraussetzung für eine
Organspende den Hirntod als Tod des Menschen an. "Wir richten
uns nach den Gesetzen des Landes, in dem wir leben", so Christa
Bentenrieder, Geschäftsführerin der Deutschen Buddhistischen
Union (DBU). Jeder Buddhist müsse aber grundsätzlich seine
eigene Haltung dazu finden, denn im Buddhismus gebe es keine
Autorität, die vorschreibt, was zu tun ist. Die meisten tibetisch-buddhistischen
Anhänger in Deutschland sehen Organspende allerdings durchaus
kritisch. Denn hier gilt die Regel, einen Toten möglichst
lange liegen zu lassen, um seinen Sterbeprozess nicht zu stören.
Andererseits, so Christa Bentenrieder, "ist es eben gerade
auch buddhistisch, diese Störung nicht so wichtig zu nehmen,
wenn durch eine Organspende anderes Leben gerettet werden
kann. Denn das gilt als höchster Akt tätigen Mitgefühls."
Zu den Grundsätzen im Buddhismus gehört neben dem Geben, Teilen
und der Solidarität auch, dass der Mensch nicht mit seinem
Körper identifiziert ist und sich nicht an ihn klammert. Das
gilt für den Spender, ebenso aber auch für den Empfänger.
Der Islam erlaubt die Organspende ebenfalls, wenn sie die
einzig möglich lebensrettende Behandlung für den Empfänger
ist. Voraussetzung ist auch hier wie im deutschen Transplantationsgesetz:
Der Tod des Menschen und die ausdrückliche Zustimmung des
Spenders oder seiner Angehörigen. Sunniten und Schiiten unterscheiden
sich in der praktischen Konsequenz jedoch erheblich: Während
die Sunniten (in Deutschland rund drei Millionen) auch bei
Nicht-Muslimen als Spender wie als Empfänger in Frage kommen
können, dürfen die Schiiten (in Deutschland rund 100000) ihre
Organe nur einem anderen Muslim spenden. Organe empfangen
dürfen sie dagegen auch von Andersgläubigen. "Kinder und entmündigte
Personen", so Dr. Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats
der Muslime in Deutschland, "sind als Organspender dagegen
immer ausgenommen. Hier reicht die Zustimmung von Erziehungsberechtigten
oder dem Vormund nicht aus."
Im jüdischen Glauben gilt ein Mensch erst dann als tot, wenn
er nicht mehr atmet und keinen Pulsschlag mehr hat. "Dem Hirntod",
so der baden-württembergische Landesrabbiner Dr. Joel Berger,
"wird in der Halacha, der verbindlichen jüdischen Gesetzesauslegung,
keinerlei Bedeutung beigemessen." Organspenden wie im Transplantationsgesetz
beschrieben sind damit nach jüdischem Glauben nicht erlaubt.
Die Transplantation einer Hornhaut von einem Toten ist dagegen
gestattet. Erlaubt sind auch Transplantationen von sich regenerierenden
Substanzen vom lebenden Menschen, wie z.B. Blutspenden, Haut-
und Knochenmarktransplantate. Auch die Lebendspende einer
Niere ist mit dem jüdischem Glauben zu vereinbaren, allerdings
nur, wenn die Gefahr für den Spender sehr gering und die Transplantation
für den Empfänger lebensrettend ist, sie also nicht "nur"
der besseren Lebensqualität dient.
"Es gibt viele Fragen, die ein Mensch erst einmal für sich
klären muss, bevor er sich für oder gegen eine Organspende
entscheiden kann", so Anna Viek vom AKO. Die Frage, ob eine
Organspende mit der eigenen Religion zu vereinbaren ist, ist
nur eine davon. "Wir versuchen jedem die Informationen zur
Verfügung zu stellen, die er für seine persönliche Entscheidung
braucht."
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